Kunst & Bildbearbeitung: Exklusivinterview mit Jean Molitor
Der Fotograf und Künstler Jean Molitor bereist mit seiner Kamera die ganze Welt. Sein liebstes Motiv: die Architektur und Gebäude aus der Bauhauszeit. Wir sprachen in einem Exklusivinterview mit Jean Molitor über seine Inspiration, das perfekte Foto und wie Kunst und Bildbearbeitung zusammenpassen.
Jean Molitor im Profil
Geboren in Berlin Prenzlauer Berg brachte ihn seine berufliche Leidenschaft von Grönland über Russland nach Afrika, Asien und bis in das ferne Südamerika. Weltweit ist er als Dokumentarfilmer, Staßen-, Kunst- und Architekturfotograf tätig.
Im Alter von 15 Jahren erhielt Jean Molitor in der AG Junge Fotografen seine erste öffentliche Anerkennung für ein gelungenes Foto. Später folgte eine Fachausbildung zum Fotografen und Kameraassistenten. Darauf aufbauend ein Studium der künstlerischen Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Seit dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums 1993 ist Molitor als freiberuflicher Fotograf weltweit für namhafte Firmen und Institutionen im Einsatz. Während dieser Zeit arbeitete er vorrangig im Bereich der Reportage für Printmedien und Fernsehproduktionen, ist Bildautor mehrerer Buchpublikationen und engagierte sich für zahlreiche internationale soziale Non-Profit-Projekte (Ukraine, Kuba, Zentralafrika, Afghanistan, Mexiko, Rumänien). Nach längeren Arbeitsaufenthalten in Südamerika und China widmet sich Jean Molitor seit 2004 zunehmend seinem künstlerischen Schaffen.
Seine Inspirationen holt sich der Berliner Kosmopolit aus der ganzen Welt. Seine Werke werden international in zahlreichen Ausstellungen gezeigt.
Br24: Schon bei Deinem ersten Kunstprojekt hast Du dich auf Architektur fokussiert. Das Fotobuch bau1haus ist entstanden. Was war Deine Inspiration? Und was hat Dich dazu bewegt, eine zweite Version anzufertigen; bau2haus?
Jean Molitor: Das Projekt bau1haus hat 2009 eher zufällig in Bujumbura, der ehemaligen Hauptstadt Burundis, im Herzen Afrikas begonnen. Ich war eingeladen, vom Abriss bedrohte Architektur zu fotografieren und sie so, zumindest im Bild, für die Nachwelt zu bewahren. In diesem Fall ging es um eine dokumentarische Arbeit, welche jedoch in hoher Bildqualität umgesetzt werden sollte.
Ich entschied mich damals, den Fokus klar auf die Architektur zu legen und die Gebäude möglichst ohne Ablenkung wie Autoverkehr oder Personen etc. aufzunehmen. Als ich in Burundi ankam, war ich ein wenig erstaunt, da ich die Gebäude der europäischen Moderne zurechnete und dort so viele Bauten der einstigen Kolonialzeit vorfand. Mir war bis dahin nicht klar, wie präsent diese kolonialen Spuren aus Stein, Mörtel und Zement in diesem kleinen Land auftreten, und ich fand es wichtig, diese Spuren sichtbar zu erhalten, zumindest im Foto. Wie wollen wir Geschichte weiter vermitteln, wenn wir all ihre Spuren beseitigen. Nach der Reise begann ich, mich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen und stellte mir die Frage, wie und wann und wo entstand die sogenannte klassische Moderne, wie hat sie sich einst verbreitet und wie genau kam sie nach Afrika. An dieser Stelle entwarf sich mein Projekt „bau1haus“.
Seitdem sind mittlerweile gut 12 Jahre vergangen und ich habe mich fotografisch wie auch inhaltlich in das Thema eingearbeitet. Aus dem dokumentarischen Projekt ist ein Kunstprojekt mit dokumentarischen Ansatz geworden. Das erste Buch vom Verlag Hatje Cantz erschien 2018 in Vorbereitung auf die Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum. Damals hatte ich in 30 Ländern fotografiert und bestimmt weitere 30 Länder recherchiert.
In mir entstand, ich kann es so sagen, eine Leidenschaft. Schon seit meiner Kindheit war ich am Reisen interessiert, habe bestimmt die Hälfte meines Lebens „draußen“ in der Welt verbracht und fühle mich wie ein Schatzsucher. Nur geht es nicht um Gold oder Diamanten, sondern um Architektur, manchmal sehr bekannte, oft jedoch auch fast vergessene Zeugen ihrer Zeit. So sind es heute 50 Länder, in welchen ich Entsprechendes fotografiert habe und unglaubliche 140 Länder, in welchen ich jene Gebäude in unterschiedlichster architektonischer Ausprägung im Sinne der einstigen Moderne gefunden habe. Das war letztlich der Grund, 2021 einen Folgeband im gleichen Verlag herauszugeben.
Lass uns über das perfekte Foto sprechen. Film war früher sehr teuer, das perfekte Foto musste beim ersten Schuss gelingen. Heute mit digitaler Fotografie schießt man locker 100 Bilder und mehr. Wie sieht bei Dir das perfekte Foto aus? Gibt es bei Dir eine bestimmte Anzahl an Schüssen?
Das ist eine spannende Frage. Ich komme ja aus der klassischen Fotografie. Habe es gelernt und später in Leipzig studiert, darf mich heute Master of Art nennen ;-)) Ich kenne noch die These, Negativ gleich Positiv, keine Ausschnitte, keine Retusche. Am besten nur ein überlegter Schuss.
Nun ist das sehr allgemein gesprochen und die Realität ist doch differenzierter zu betrachten. Letztlich geht es ja um die Verwendung des Bildes und nicht um den Status und das „Elitäre“ eines Fotografen. Natürlich ist Konzentration und Idee bei der Belichtung gefragt, Schnappschüsse mal ausgenommen. Wenn ich als Street-Photographer in der Welt unterwegs bin, stimme ich dem prinzipiell zu. Die Fotos sind, wie sie sind. Keine Retusche, kein Ausschnitt. Wenn ich aber für mein Projekt unterwegs bin oder für einen Kunden im Auftrag, dann gilt meine Aufmerksamkeit dem Produkt, dem Endbild, dem Ergebnis. Wie ich dorthin komme, ist im Wesentlichen meine Angelegenheit und jeder Fotograf wird diesbezüglich seine Geheimnisse und Vorgehensweisen haben. Die Fisch-Ei-Methode – eine Million Eier legen, damit eines schlüpft – ist natürlich wenig sinnvoll.
Wenn ich nun an mein Projekt bau1haus denke, kann ich mich an unterschiedliche Varianten erinnern. In der Tat, manchmal reicht ein einziger Schuss. Perfektes Licht, perfekte Position und alles ist gut. Warum dann noch weitere 20 Belichtungen machen oder gar 100? Manchmal gibt es auch nur den einen Moment und das Bild muss sitzen. Manchmal ist die Situation kompliziert, zu viel Verkehr wie in Jakarta oder Moskau, dann stehe ich an der Kreuzung und es will nur schwer gelingen. Manchmal wechselt das Wetter zu schnell, wird besser und ich kann es wiederholen, wird noch besser und ich kann es noch einmal wiederholen.
Dank der digitalen Fotografie lässt sich jedoch heute schon vor Ort das Fotografierte begutachten und ich sehe genau, wann ich fertig bin, das Motiv im Kasten habe. So gesehen versuche ich mit wenigen Schüssen auszukommen, aber es zählt das Ergebnis. Ich kann nicht so schnell wieder nach Indonesien fliegen, wenn ich es verpatzt habe, weil ich nur ein Bild machen möchte, das wäre auch ökologisch nicht verantwortbar.
Kunst und Bildbearbeitung: Wie passt das für Dich zusammen? Kann Bildbearbeitung die Kunst unterstützen?
Meine Kunst hat ein Anliegen und möchte sich nicht vieler erklärender Worte bedienen. Dem Projekt bau1haus liegt ein klares Konzept zugrunde. Nach diesem Konzept arbeite ich. Genau bedeutet es, mein Bildgegenstand ist eine bestimmte Art von Architektur. Diese fotografiere ich so, dass sie möglichst ganz abgebildet ist und die Aufnahmestandpunkte immer ähnlich sind, sprich Vogelperspektive oder extreme Froschperspektive versuche ich zu vermeiden. Auch spektakuläre Lichtsituationen sind nicht angestrebt. Dahinter verbirgt sich die Absicht, diese vielen verschiedenen Gebäude gegenüber stellen zu können, um sie im besten Fall zu vergleichen. Beim Betrachter dürfen Fragen nach möglichen Parallelen aufkommen, das ist es, was das Projekt beabsichtigt. Es geht um Fragen, nicht um Antworten.
Um diese Vergleichbarkeit zu erreichen, bediene ich mich bestimmter Vorgehensweisen. Fotografiere möglichst bei Sonne aus normaler Blickperspektive, möglichst ohne Effekte, eher nüchtern. Versuche, Menschen, Autos oder Ähnliches nicht im Bild zu haben, was bedeutet, dass ich oft an Sonntagen zu den Gebäuden gehe, wenn der Verkehr noch nicht begonnen hat. Mitunter stört mich auch ein Kabel im Bild oder ein vor fünf Minuten abgestelltes Dixi-WC. In solchen Fällen hilft die klassische Bildbereinigung, welche durchaus keine Erfindung des Digitalzeitalters ist. Bei meiner Ausbildung und später im Studium war das ein gesonderter Ausbildungsbereich, Bildberuhigung. Dieser ist wichtig, um die Aussage des Bildes zu unterstützen. Hierzu zählt auch die Farbkorrektur oder Farbumwandlung sowie das Entzerren von stürzenden Linien (Shiften), was wir früher im Labor vorgenommen haben und heute am Computer geschieht.
Traditionell bedeutet Architekturfotografie im besten Fall das Arbeiten vom Stativ mit der Fachkamera. Durch das Versetzen von Bild- und Objektivebene lassen sich stürzende Linien gleich bei der Aufnahme weitestgehend beseitigen. Dazu niedrige Filmempfindlichkeit, hohe Blende und wenn möglich noch ein Graufilter sorgen für lange Belichtungszeiten. Das hatte zumindest früher bei der Messbildfotografie den Effekt, dass sich bewegende Objekte kaum erfasst wurden. Wenn das Budget es zulässt, hilft es auch wie oft bei Filmaufnahmen, die Straße kurzzeitig zu sperren, um dann beharrlich auf ideales Licht zu warten.
Bei meinem frei finanzierten Projekt ist vieles von dem illusorisch, sprich, nicht umsetzbar. Im internationalen Einsatz sind die Bedingungen vor Ort doch sehr unterschiedlich. Allein Temperatur und Wetterverhältnisse. Im Kongo waren es 2017 an die 45 Grad und eine Woche später fotografierte ich in Magnitogorsk bei -20 Grad. Dazu kommen bestimmte Befindlichkeiten der Regionen wie Bürokratie, Sicherheit, Genehmigungen oder Kriminalität. In Burundi war 2009 das Fotografieren ohne örtliche Genehmigung und zwei Polizisten an meiner Seite nicht vorstellbar. Aus diesen Gründen ist meine Ausrüstung speziell für dieses Projekt angepasst. Ein wesentlicher Punkt ist meine lange Erfahrung im Ausland. Letztlich ist die Technik nur das Arbeitsmittel. Fachliches Wissen und eine hohe Flexibilität vor Ort führten mich bislang zum Erfolg und wie mein Professor immer zu uns Studenten sagte, wichtig ist die Person hinter der Kamera.
Du arbeitest schon lange mit Br24 zusammen; seit 2012 um genau zu sein. Warum, wie kam es dazu?
Auch das ist eine spannende Frage. Grundsätzlich könnte ich salopp sagen, weil ich zu faul bin, dies selbst zu machen. Genauer betrachtet bin ich nicht gut genug in diesem Fachbereich und habe oft nicht die Geduld, meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Auch sind es mitunter knifflige Aufgaben, bestimmte Kleinigkeiten aus dem Bild zu räumen. Zudem liebe ich es, im Team zu arbeiten und mich auszutauschen. Kommunikation sehe ich als eine der Säulen meiner Arbeit. Das fängt bei der Recherche an und geht bis zur Ausstellung. Mittlerweile existiert ein großartiges Netzwerk, welches sich rund um den Globus erstreckt, gerade heute kam ein ganzer Ordner mit Informationen aus Teheran.
Die Bildberuhigung hat in bestimmten Bereichen der Fotografie ihren festen Platz, schon immer. In meinem Kunstprojekt geht es mir um die Ruhe im Bild, um dem Betrachter die architektonische Form möglichst ohne Ablenkung zeigen zu können, damit er sie als Baukomplex erfassen kann. Das ist oft unter aktuellen Bedingungen nicht einfach umzusetzen und bei Vergleichen mit historischen Aufnahmen offenbart sich die Veränderung von Zeit und Raum. Dennoch habe ich den Anspruch, das Objekt in meinem Sinne positiv zu erfassen und dabei hilft mir mitunter Br24, steht mit Rat und Tat und vor allem mit Kompetenz zur Seite. An dieser Stelle auch meinen herzlichen Dank!
Jean Molitor „bau2haus – neues zur moderne in der welt”, erschienen im Hatje Cantz Verlag, ist ab sofort als gebundenes Hardcover erhältlich. Das zweite Buch ist eine limitierte Auflage und gibt einen wunderschönen Einblick über eine Reise um die Welt durch Länder wie Mosambik, Südafrika, Kenia, Guadeloupe, Albanien, Nordmazedonien oder der Türkei.
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